Bangkok/Dresden. [Aktualisiert] Im Jahre 1716 kaufte August der Starke, König von Polen, Großfürst von Litauen und Kurfürst von Sachsen, einem Bürgermeister von Amsterdam einen Behälter mit „zwei chinesischen Bildern“ für seine Chinoiserie-Sammlung ab. In den folgenden 300 Jahren wußte fast niemand von der Existenz dieser Bilder.
Erst vor kurzem stieß man wieder auf den Schatz, der in diesem Behälter 300 Jahre lang unverändert aufbewahrt wurde:
Auf den Bildern ging es nicht um ein chinesisches, sondern um ein siamesischen Ereignis aus dem Jahre 1704. Damit gehören diese Bilder zu den wenigen gut erhaltenen siamesischen Dokumenten jener Zeit . Die bisherigen Erkenntnisse hat Barend Jan Terwiel Ende Januar und Anfang Februar in verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen in Bangkok vorgestellt, unter anderem in der Siam Society und in der Chulalongkon Universität..
August der Starke lebte von 1670 bis1733. Sein Hof war einer der prächtigsten in Europa. Er sammelte Möbel, Gemälde, Teppiche, Silberwaren und vieles mehr. Ein Teil seiner Sammlung bestand aus Chinoiserie; das meiste davon befindet sich heute in der großen Sammlung von Drucken, Zeichnungen und Fotografien im Kupferstich-Kabinett des Dresdner Residenzschlosses.
August hatte die beiden Bilder von Egidius van den Bempden gekauft. der Bürgermeister in Amsterdam war und zugleich ein Direktor der Niederländischen Ostindien-Kompanie.
Bei den Vorbereitungen zur Katalogisierung der Chinoiserie-Sammlung stieß eine Kuratorin auf die Schachtel mit den Bildrollen, die die Nummern Ca 128 und Ca 129 tragen und auf etwa 1710 datiert sind, zudem auch auf ein dazugehöriges Schriftstück in niederländischer Sprache.
Ganz offensichtlich waren die beiden Bildrollen nicht chinesisch. Man vermutete vielmehr, dass sie siamesisch wären. Deshalb setzte sich die Kuratorin mit Professor Terwiel in Verbindung. Nachdem der die ersten Bilder der Objekte gesehen hatte, setzte er sich umgehend in den Zug nach Dresden. Sein Befund war, daß es sich in der Tat um Objekte handelte, die Anfang des 18. Jahrhundert im alten Siam entstanden waren. Sie stammen somit aus einer Zeit, aus der nur sehr vereinzelte Dokumente über Thailands Geschichte erhalten sind.
Schnell stand fest, daß die Bildrollen eine siamesische Bestattungsprozession darstellten, und zwar keine gewöhnliche, sondern eine von der Art, wie sie nur für königliche Einäscherungen stattfinden. Die niederländische Text besagte, daß es sich um die Einäscherung eines Königs „Phra Throng Than“ handelte. Im Vortrag identifizierte Terwiel diesen König als den Ursupator Phetracha, den man in Europa unter anderem wegen seiner grausamen Folterung und Ermordung von Konstantinos Gerakis, des griechischen Beraters von König Narai, und vieler anderer Menschen kennt. Terwiel rekonstruierte außerdem, für wen diese Bildrollen gemacht wurden, und zeigte den Weg auf, wie diese Objekte in den Besitz von Egidius van den Bempden gelangt sind.
Beide Bildrollen stellen dasselbe Geschehen dar, aber sie sind sehr unterschiedlich.
Ca 129 (Thai) ist die längere Rolle. Sie besteht aus zehn Blättern dünnen weißen Papiers, die auf ein feines Leinentuch aufgeklebt sind. Die Länge ist beträgt etwa 370 Zentimeter, die Höhe etwa 50 Zentimeter. Die Zeichnung, in schwarzer Tinte mit feinem Strich, stellt die Prozession dar. Nur an zwei Stellen, je einem Detail der Fabeltiere und der königlichen Urne, wurde auch etwas Gold verwendet. Auf dieser Rolle sind einige Wörter geschrieben, einige auf Niederländisch, andere auf Thai wie ein Niederländer sie umschreiben würde.
Die kürzere Rolle Ca 128 (Ausländisch, 215 auf 42 Zentimeter) ist auf vier große Blätter ausgeführt, die alle vier auf ein starkes Tuch geklebt sind. Diese Zeichnung wurde erst mit Bleistift vorgezeichnet, dann in Tinte ausgeführt, und zuletzt wurden die Figuren und Gegenstände farbig ausgemalt – grün, rot, gelb, orange und blau. Die Urne wurde in Gold gefaßt. Das Papier am rechten Rand scheint ein Ersatz einer früheren Zeichnung zu sein. Über diese Rolle sind viele Buchstaben, Ziffern und Zeichen geschrieben, alle Symbole sind ausführlich erklärt in 85 Zeilen eines beiliegenden Dokuments in niederländischer Sprache.
Die einheimische Version Ca 129 (Thai) ist ein besonderes Thai Kunstwerk, die kolorierte ausländische Kopie dagegen zeigt das Geschehen aus europäischer Sicht und zeigt deshalb auch auf, wie wenig die Europäer jener Zeit von den Vorgängen wirklich verstanden haben.
Barend Jan Terwiel zeigte sich in einem Gespräch außerordentlich zufrieden mit den Ergebnissen seiner Bangkoker Vorträge.
Besonders faszinierend sei die Frage, warum es überhaupt zwei Bildrollen gibt, den europäischen Blick in der farbigen Bildrolle, die einheimische Sicht im Stile der typischen thailändischen zweidimensionalen „Konturkunst“, die nur das allernötigste zum Verständnis zeigt und auch der Form einer traditionellen Tätowierung genügen würde. Erst während der Vorträge kam das für Terwiel durch die Rückmeldungen der thailändischen Experten klar zum Ausdruck.
Wichtige Anregungen bekam Terwiel vor allem durch die Historiker อาจารย์ ดร. ภาวรรณ เรืองศิลป์ Prof. Phawan Rueangsin („Bhawan Ruangsilp“) und อาจารย์ ดร. ธีรวัต ณ ป้อมเพชร. Prof. Thirawat na Pomphet („Dhirawat na Pombejra“). Beide kennen sich sehr gut in den niederländischen Archiven in Den Haag aus.
Prof. Phawan informierte Terwiel über ein handgeschriebenes niederländisches Dokument über einen 1728 erfolgten Besuch des Opperhoofd (Vorstandes) der niederländischen Ostindien-Kompanie in Ayutthaya, Theodorus van den Heuvel, auf dem Verbrennungsgelände für eine Königin. Am Tag vor der feierlichen Prozession zum Meru traf van den Heuvel dort den König am Verbrennungsturm, was er später beschreib; und am nächsten Tag sah er die Prozession an und beschrieb auch sie.
„Dieses Dokument hat mir enorm weitergeholfen“, sagt Terwiel, „viele Details der Zeichnungen sind mir jetzt klar.“ Weitere Hinweise kamen aus dem Publikum und aus Büchern, die zum Teil gleich mitgebracht wurden: Die Fußnoten aus der englischen Übersetzung des Thai-Epos Khun Chang Khun Phaen von Chris Baker und Pasuk Phongpaichit stellten sich als eine wahre Fundgrube für Details und Erklärungen der rituellen Gegenstände in den Dresdener Zeichnungen heraus. Zum Beispiel: „…nur eine Stunde vor meinem Chula Vortrag verstand ich, was es mit den runden Dingen auf sich hat, die unterhalb der Bäume hingen: Das waren Zitronen (oder Limetten), in denen Münzen steckten, die während der Prozession in die Zuschauerreihen geworfen wurden.“
„Alles in allem“, sagt Terwiel, „fühle ich mich jetzt auf sicherem Boden, um eine ausführliche Beschreibung der Dokumente für das Kupferstichkabinett in Dresden zu beginnen.“
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr interessant und spannend, zumal Dresden meine Geburtsstadt ist und ich jetzt in Thailand lebe.
Aber warum sind auf dem Originalbild Schirme mit einmal 5 und einmal 7 Etagen dargestellt?
Das sind doch Symbole von Rama V und Rama VII, die nach 1704 Regenten waren.
Schade, daß ich keine Kenntnisse von den Terminen zu den diversen Vorträgen hatte. Was Prof. Terwiel zu sagen hatte, war bestimmt hochinteressant. Ich wohne in der Provinz Trat und hätte es nicht so weit zu den Vortragsorten gehabt. Vielleicht besteht ja die Möglichkeit, in einen Art Verteiler aufgenommen zu werden, um zu diesen oder analogen Themen informiert zu werden, das wäre großartig und ich wäre sehr dankbar.
Bei dieser Gelegenheit darf ich auf eine Konzertreihe im Bremer Dom hinweisen, unter dem Stichwort: „Dialog der Kulturen“, bei der am 15.Sept.2016 in dem Konzert „Die Botschaft des Friedens“ Buddhistische Gebetstexte (Theravada) und christliche Musik zu einem musikalischem Friedensgebet, unter der Leitung von Dr. Gravenhorst gehört werden können. Bremen ist auch nicht so weit; wenn Sie morgens von BKK losfliegen, sind Sie abends schon in Bremen.
Herzliche Grüße,
Bernd Blum
Sehr geehrter Herr Blum,
Danke für das Lob. Die Vorlesungen von Prof. Terwiel waren angekündigt, nicht nur auf dieser Seite (dies ist die aktualisierte Fassung der Ankündigung von Mitte Januar), sondern auch auf Thailand TIP Online, auf Twitter u. a. unter https://twitter.com/hmhensel, auf Facebook u. a. unter https://www.facebook.com/barend.terwiel sowie auf der Homepage der Siam Society.
http://www.siam-society.org/lectures/1601Treasure.html
Professor Terwiel wird eine eingehende Dokumentation der beiden Dokumente veröffentlichen, die voraussichtlich in der nächsten Ausgabe des Jahrbuchs der Siam Society erscheint, das man auch als Nichtmitglied in der vereinseigenen Buchhandlung erwerben kann.
Phakinee.